Die Medientage München haben auch dieses Jahr wieder bewiesen, warum sie zu den wichtigsten Branchentreffs im deutschsprachigen Raum zählen. Unter dem Motto „Realities“ versammelten sich vom 23. bis 25. Oktober 2024 Medienprofis, Politiker*innen, Technik-Enthusiast*innen und Zukunftsdenker*innen im pulsierenden und vor zeitgenössischer Kunst nur so strotzenden House of Communication im Münchner Werksviertel.
Ein zentrales Thema kristallisierte sich dabei besonders heraus: die wachsende Bedeutung von Daten als „Stimme des Publikums“ (Evan Shapiro). In einer Zeit, in der künstliche Intelligenz und Datenanalyse immer mehr an Einfluss gewinnen, standen Fragen zur optimalen Nutzung dieser digitalen Signale im Mittelpunkt. Wie können Medienunternehmen diese Erkenntnisse nutzen, um ihr Angebot zu verbessern und die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe besser zu verstehen? In diesem Review-Artikel werfen wir einen kritischen Blick auf die wichtigsten Erkenntnisse und Trends, die sich bei den #MTM24 herauskristallisiert haben.
Mit rund 300 Top-Speakern und mehr als 100 Sessions bot die Veranstaltung eine beeindruckende Bandbreite an Themen. Von KI-getriebener Medienproduktion bis hin zu den neuesten Trends im digitalen Storytelling – hier wurde die Zukunft der Medienlandschaft greifbar. Unsere inhaltlichen Highlights haben wir für euch im Folgenden genauer beschrieben.
Der bekannte Journalist Richard Gutjahr beleuchtete in seiner Session die verschwimmenden Grenzen zwischen Realität und KI-generiertem Content. Mit einer Mischung aus Witz und Ernst verdeutlichte er die Herausforderungen, denen Medienschaffende und Medienkonsumierende im Zeitalter synthetischer Medien gegenüberstehen. Sein Plädoyer für eine neue „digitale Alphabetisierung“ vollzog sich in drei Trends, die er eindrücklich erläuterte:
Trend 1: AI Influencer – The Rise of Synthetic Social Media: Es wird immer mehr KIs in den Sozialen Medien geben, die wie echte Menschen daherkommen. Damit müssen wir umgehen lernen.
Trend 2: The Era of Digital Twins: Wir werden bald nicht mehr selber in Webinare oder belanglose Zoom-Schalten gehen, sondern unsere eigenen Avatare hinschicken, die uns danach die Ergebnisse zusammenfassen.
Trend 3: Augmented Media – When Reality is No Longer Good Enough: Sobald AR/VR-Brillen weitere Verbreitung erfahren werden, werden Menschen die Welt durch ihre eigene Brille verändert wahrnehmen und wir werden die realitätserweiternden Features vermissen, sobald wir die Brillen abnehmen.
Als Gesellschaft stehen wir hierdurch vor enormen Herausforderungen und Fragen, wie wir unser Miteinander zukünftig gestalten wollen und welche Rolle KI in unserem Leben einnehmen soll.
Für die Analytics-Branche bedeuten die Veränderungen einerseits, dass eine Organisation die Weichen stellen muss, um auf diese Trends zu reagieren und sie im eigenen Unternehmen steuern zu können. Andererseits bieten die zahlreichen neuen, synthetischen Realitäten auch einen wunderbaren Abenteuerspielplatz für Marketing, Personalisierung und 360-Grad-Kund*innenerlebnisse.
Die Süddeutsche Zeitung setzt stark auf Abonnent*innenbindung und nutzt dafür Predictive Analytics, um Kündigungswahrscheinlichkeiten vorherzusagen. Der Fokus liegt auf exklusiven Inhalten, Service und maßgeschneiderten Angeboten. Statt sich auf kurzfristige Reichweite oder Probeabo-Conversions zu konzentrieren, zielt die SZ darauf ab, im oberen Teil des Verkaufstrichters langfristige und wertvolle Abonnenten zu gewinnen. Dabei wird der Customer Lifetime Value (CLV) besonders berücksichtigt.
Friedmann betonte die Wichtigkeit einer ausgewogenen Kombination von Technologie und menschlicher Expertise. Während Automatisierung für die Datenverarbeitung genutzt wird, überprüfen Menschen die Relevanz, den Informationsgehalt und die ethische Vertretbarkeit der Inhalte. Die SZ setzt zudem auf personalisierte Inhalte, ähnlich dem „For You“-Feature der New York Times, was zu einer erhöhten Anzahl gelesener Artikel und längeren Verweildauern führt. Auch Mehrsprachigkeit und die Entwicklung von Submarken, beispielsweise durch Podcasts mit bekannten Redakteuren, wie es vor allem DIE ZEIT seit Jahren erfolgreich vormacht, sind Teil der Strategie.
Für die Analytics-Branche liegt die Zukunft der Medienanalyse also in der Entwicklung ganzheitlicher, ethischer und langfristig orientierter Lösungen. Dabei stehen drei Hauptaspekte im Fokus:
Fortschrittliche prädiktive Modelle zur Nutzerbindung
Personalisierungstechnologien für maßgeschneiderte Inhalte
Plattformübergreifende Analysetools für ein umfassendes Verständnis des Nutzerverhaltens
Die von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) organisierte Paneldiskussion „Aufbau von Digitalkompetenz in Medienunternehmen“ entfachte eine lebhafte Debatte über die digitale Kompetenzlücke in der Medienbranche. Rund 120 Teilnehmer*innen aus der Medien-, Kultur- und Kreativwirtschaft verfolgten die Veranstaltung vor Ort. Prof. Dr. Thomas Hess von der LMU Munich School of Management stellte die Ergebnisse einer vbw-Umfrage vor, die das komplexe Themenfeld der Digitalkompetenz im Kontext des digitalen Wandels untersuchte.
Die Podiumsteilnehmer betonten, dass neben der Stärkung der Digitalkompetenz mittelfristig auch die Transformationskompetenz – also die Fähigkeit zur Integration digitaler Geschäftskonzepte und -prozesse – in Unternehmen gefördert werden muss. Wissenstransfer funktioniere nicht allein über zentrale Datenbanken oder „Wissensplattformen“, sondern vor allem durch den direkten, abteilungsübergreifenden Austausch zwischen Mitarbeitenden. Dr. Katharina Herrmann von Hubert Burda Media betonte, dass die Umsetzung digitalen Wissens ein permanenter Prozess sei, der von der Führungsebene vorgelebt werden müsse. Thomas Hinrichs vom Bayerischen Rundfunk hob hervor, dass Mitarbeitende selbst bestrebt sind, Digitalkompetenz zu erwerben und zu sichern, und dass auch öffentlich-rechtliche Medien an der Spitze der technologischen Entwicklung stehen wollen.
Die Zukunft im Bereich Analytics in Medienunternehmen erfordert demnach einen ganzheitlichen Ansatz, der über reine Datenerfassung hinausgeht.
Die folgenden Hauptaspekte kristallisieren sich dabei heraus:
Organisationaler Ansatz: Analytics-Lösungen sollten nicht nur technische Aspekte, sondern auch die Förderung von Transformationskompetenzen berücksichtigen
Kollaborative Plattformen: Es besteht Bedarf an Tools, die den direkten Wissensaustausch zwischen Mitarbeitern fördern, statt nur als passive Datenbanken zu fungieren
Kontinuierliche Lernanalyse: Entwicklung von Systemen zur Messung und Förderung des kontinuierlichen Kompetenzerwerbs in Organisationen
Führungskräfte-Dashboards: Schaffung von Analytics-Tools, die es Führungskräften ermöglichen, die digitale Transformation aktiv zu steuern und vorzuleben
Branchenübergreifende Lösungen: Anpassung von Analytics-Lösungen für verschiedene Medienformate und -typen, einschließlich öffentlich-rechtlicher Anbieter
Diese Trends unterstreichen die Notwendigkeit, Analytics-Lösungen zu entwickeln, die sowohl technische als auch menschliche Aspekte der digitalen Transformation in Medienunternehmen unterstützen und messbar machen.
Eine der faszinierendsten Präsentationen widmete sich innovativen Tools zum Schutz künstlerischer Werke vor unerlaubter KI-Reproduktion. Nightshade und Glaze sind Tools, die von einem Forscherteam der Universität Chicago unter der Leitung von Professor Ben Zhao entwickelt wurden. Sie ermöglichen es Künstlern, ihre digitalen Kunstwerke vor dem Hochladen ins Internet für das menschliche Auge nicht sichtbar zu verändern, um sich gegen unerlaubte Nutzung ihrer Werke durch KI-Unternehmen zu wehren:
Glaze „maskiert“ den persönlichen Stil eines Künstlers, indem es die Bilder für KI-Systeme als einen anderen Kunststil erscheinen lässt.
Nightshade fügt unsichtbare Änderungen an den Pixeln hinzu, die KI-Modelle verwirren und zu chaotischen Ausgaben führen können. Hierdurch wird z.B. das Foto einer Kuh auf der grünen Wiese von einem AI Modell als Handtasche interpretiert.
Diese Tools sollen als Abschreckung gegen das unkontrollierte Scraping von Kunstwerken durch KI-Unternehmen dienen. Sie können die Trainingsdaten von Bildgenerierungs-KIs wie DALL-E, Midjourney und Stable Diffusion „vergiften“ (data poisoning) und deren Outputs unbrauchbar machen.
Die Entwicklung von Datenvergiftungs-Tools wie Nightshade und Glaze hat wichtige Implikationen für die Analytics-Branche:
Erhöhte Notwendigkeit robuster Datenvalidierung und -bereinigung in KI-Trainingsprozessen
Bedarf an fortschrittlichen Erkennungsmethoden für manipulierte oder „vergiftete“ Daten; Was hier im eigentlich guten Sinne der Künstler möglich ist, könnte an anderer Stelle aber auch schädlich eingesetzt werden.
Mögliche Entwicklung von Gegenmaßnahmen und Schutzmechanismen für KI-Modelle, z.B. Machine Unlearning.
Diese Trends unterstreichen die wachsende Bedeutung von Datensicherheit und -integrität in der KI-Entwicklung und -Anwendung, insbesondere im Bereich der generativen KI und Bildverarbeitung.
Das House of Communications war zu jedem Zeitpunkt gut besucht. Es gab zahlreiche Erfrischungs- und Sitzgelegenheiten. Besonders die Partner Lounges boten eine gemütliche Atmosphäre für tiefgehende Gespräche. Die Expo-Fläche summte vor Energie und Interaktionsmöglichkeiten, von der Fahrradtour mit VR-Brille, bis hin zur “Welcher Media-Bayern-Typ bist du?”-Umfrage mit Belohnungsdonut-Garantie.
Das Rahmenprogramm stand dem Tagesprogramm in nichts nach. Die Nacht der Medien am Mittwochabend verwandelte die BMW Welt in München in einen kreativen Schmelztiegel, während die Expo Party am Donnerstagabend traditionell den perfekten Rahmen bot, um die Eindrücke der ersten zwei Tage entspannt Revue passieren zu lassen und neue Bekanntschaften zu machen.
Die Medientage München 2024 haben einmal mehr unter Beweis gestellt, dass sie der Ort sind, an dem die Zukunft der Medien nicht nur diskutiert, sondern aktiv gestaltet wird. Die Veranstaltung bot eine solide Mischung aus Inspiration, Networking und hands-on Erfahrungen. Für alle, die in der Medienbranche tätig sind oder sich für die Zukunft der Kommunikation interessieren, sind die Medientage München ein Pflichttermin im Kalender. Die Diskussionen über soziale Relevanz und ethische Überlegungen in der Medienwelt waren besonders eindringlich und zeigten, wie wichtig der Austausch in unserer schnelllebigen digitalen Welt ist.
Wir freuen uns schon jetzt auf die Medientage München 2025 und sind gespannt, welche Innovationen und Diskussionen uns dort erwarten werden.
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