Das KI-Kompetenz-Canvas: Agil strukturiert ist halb kapiert

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KI-Kompetenz ist nicht mehr nur ein Nice-to-have. Ab dem 2. Februar 2025 ist KI-Kompetenz sogar gesetzlich vorgeschrieben. Artikel 4 im AI Act verpflichtet Unternehmen dazu, für die KI-Kompetenz ihrer Mitarbeitenden zu sorgen. Doch nicht nur das: Organisationen und ihre Mitarbeitenden müssen auch ein fundiertes Verständnis für Künstliche Intelligenz (KI) und – damit zusammenhängend – vielfältige Kompetenzen entwickeln, um wettbewerbsfähig und langfristig erfolgreich zu bleiben.

Unser KI-Kompetenz-Canvas bietet einen methodischen Rahmen, um den initialen Kompetenzaufbau sowie die kontinuierliche KI-Weiterbildung im Unternehmen zielgerichtet zu steuern. Es ermöglicht, standardisierte KI-Trainings genauso wie individuelle KI-Kurse präzise zu planen und hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen – sei es bezüglich der Lerninhalte, der Lehrformate oder im Zusammenhang mit Fortschrittsmessung und Ergebnisevaluation. Das Canvas kann auf verschiedenen Ebenen innerhalb der Organisation angewendet werden, von individuellen Mitarbeitenden bis hin zu Teams oder Abteilungen. Die Arbeit mit dem Canvas garantiert dabei, dass der Mensch im Mittelpunkt der KI-Weiterbildungen steht, sodass die KI-Kompetenz-Offensive auch ein voller Erfolg mit hoher Akzeptanz im Unternehmen wird.

 

Was ist ein Canvas und wofür ist es gut?

Ein Canvas ist eine effektive und weitverbreitete Methode, um Probleme zu strukturieren, Ideen zu visualisieren und kreative Prozesse zu lenken. Es ermöglicht eine übersichtliche Darstellung komplexer Zusammenhänge und schafft ein gemeinsames Verständnis innerhalb eines Teams oder einer Organisation. Darüber hinaus erleichtert es die klare Identifizierung bzw. Ableitung von Bedürfnissen, Rahmenbedingungen, Ressourcen, Abhängigkeiten und konkreten Maßnahmen.

Ursprünglich kommt die Idee, Informationen auf einem Canvas zu sammeln, um Zusammenhänge zu verdeutlichen, aus der Geschäftsmodellentwicklung und dem Produktdesign. Insbesondere das Business Model Canvas von Alexander Osterwalder sowie das Value Proposition Canvas haben weitreichende Bekanntheit erlangt.

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Das KI-Kompetenz-Canvas

Im Folgenden führen wir Sie durch die neun Bestandteile des KI-Kompetenz-Canvas. Die Struktur innerhalb des Canvas gibt Ihnen Einblicke in die Zusammenhänge und Abhängigkeiten, derer Sie sich bewusst sein müssen, um eine mehrwertstiftende KI-Kompetenz-Strategie zu entwickeln. Wir werden die Verbindungen zwischen den einzelnen Feldern beleuchten und geben Ihnen konkrete Beispiele für die bessere Verständlichkeit an die Hand.

 

1. Anwender*innen: Schlüsselakteur*innen und deren individuelle Situation

Im oberen rechten Feld des KI-Kompetenz-Canvas starten wir mit dem ersten Schritt: der Identifizierung der Hauptakteur*innen. Hier halten Sie fest, welche Personen innerhalb Ihrer Organisation direkt mit den KI-Anwendungen arbeiten oder von den Ergebnissen profitieren werden. Dies kann eine breite Palette von Individuen umfassen – von IT-Expert*innen bis hin zu Analyst*innen, aber auch Personen aus ganz anderen Unternehmensbereichen. Die klare Definition der Anwender*innen ist entscheidend, um die nächsten Schritte effektiv anzugehen.

Dieses Feld sollte als erstes bearbeitet werden, damit Sie sich beim weiteren Befüllen des Canvas stets an den Bedürfnissen der Anwender*innen ausrichten können. Die Positionierung ganz rechts gewährleistet, dass Sie das fertig ausgefüllte Canvas stets von links nach rechts lesen können, wobei Ihre Anwender*innen als das ultimative Ziel sichtbar bleiben, auf das alles hinarbeitet.

 

Was trage ich konkret in das KI-Kompetenz-Canvas ein?

Sie können hier sowohl Personas eintragen, die die verschiedenen Nutzer*innentypen repräsentieren, als auch konkrete Namen einzelner Mitarbeiter*innen, die direkt mit den KI-Anwendungen arbeiten werden. Es könnte hier auch der Name einer Abteilung oder ein Bereichskürzel stehen, um zu verdeutlichen, welche Teams von den KI-Initiativen betroffen sind. Die genaue Wahl hängt von der individuellen Situation und den spezifischen Anforderungen Ihrer Organisation ab.

 

2. Anwendungsfälle: Definition der Einsatzbereiche

Ganz links im KI-Kompetenz-Canvas legen Sie die KI-Anwendungsfälle fest, da diese den Ausgangspunkt für die weitere Arbeit mit dem Canvas darstellen. Die Anwendungsfälle ganz links bilden zusammen mit den Anwender*innen ganz rechts eine Spange, die das ganze Canvas zusammenhält. Beide beeinflussen alle weiteren Schritte im Canvas.

Hier konkretisieren wir, wie und in welchen Bereichen die identifizierten Anwender*innen KI nutzen werden. Die Entwicklung von Use Cases in direkter Zusammenarbeit mit den Anwender*innen stellt sicher, dass die KI-Technologie gezielt und effektiv eingesetzt wird und die auch wirklich erforderlichen Kompetenzen erworben werden.

 
Was trage ich konkret in das KI-Kompetenz-Canvas ein?

Einige Beispiele für Anwendungsfälle könnten sein: „Recommendation Engine für unsere Mediathek“, „Automatisierte Beantwortung von Fragen an den Kundenservice“, oder „Dynamic-Pricing-Projekt für Saisonware“.

 

3. Methoden, Daten, Tools: Auswahl der Werkzeuge

Im KI-Kompetenz-Canvas liegt rechts neben den Anwendungsfällen – und als deren Ergänzung – der Bereich für alles rund um Daten und Technologien. Hier tragen Sie ein, welche KI-Methoden und -Technologien zum Einsatz kommen sollen. Diese Antworten sollten eng an den definierten Anwendungsfällen ausgerichtet sein, um sicherzustellen, dass Methoden- und Technologie-Kompetenzen, die erworben werden, auch wirklich auf die beabsichtigten Use Cases einzahlen.

 

Was trage ich konkret in das KI-Kompetenz-Canvas ein?

Datenquellen wie „Web Analytics“, „CRM“ oder „Product Information System“ können hier genannt werden, ebenso Tools wie „AWS-Komponenten“, „Apache Spark“ oder „MS Copilot“. Zusätzlich können Methoden wie „Kollaborative Filter“, „Prompting für LLMs“ oder „Gradient Boosting (XGBoost)“ spezifiziert werden.

 

4. Skills und Knowledge: Festlegung des Bildungsbedarfs

Rechts neben „Methoden, Daten, Tools“ befindet sich der Bereich, in dem das zu erwerbende Wissen und die geforderten Kompetenzen konkretisiert werden sollen. Hier wird festgehalten, welche Fähigkeiten und Kenntnisse die Anwender*innen benötigen, um die zuvor genannten KI-Methoden und -Technologien effektiv einsetzen zu können. Die erfolgreiche Entwicklung gezielter Bildungsmaßnahmen hängt maßgeblich davon ab, dass die Ziele klar definiert sind. Dies kann auch anhand von sogenannten User Stories geschehen, die nach folgendem Muster aufgebaut sind:

 

Ich als [PERSON/GRUPPE]

 benötige die Kompetenz [FÄHIGKEIT],

 um [ZIEL] zu erreichen.

 

Was trage ich konkret in das KI-Kompetenz-Canvas ein?

„Ich als Führungskraft benötige grundlegende Techniken des KI-Storytellings, um mein Team für Projekte zu begeistern und meinem Vorgesetzten die Ergebnisse unserer Arbeit verständlich zu vermitteln.“ „Anwendung von ChatGPT und kritische Bewertung der Ergebnisse“, „eine Recommendation Engine auf Basis unserer vorhandenen Daten trainieren können.“

 

5. Ressourcen: Sammeln der bereits vorhandenen Mittel/Ressourcen


Im linken unteren Zentrum des Canvas liegt der Bereich für Ressourcen. Hier wird reflektiert, welche internen und externen Ressourcen schon verfügbar sind, um die KI-Kompetenz-Initiativen zu unterstützen. Dies kann Budget, Personal, Materialien und externe Partnerschaften beinhalten. Auch bereits vorhandene Schulungstools, -formate oder etablierte Trainingsprozesse sollten hier erfasst werden.

 

Was trage ich konkret in das KI-Kompetenz-Canvas ein?

Als Beispiel könnte man hier vermerken, dass es bereits eine vorhandene Prüfungssoftware gibt, Lizenzen für eine externe Schulungsplattform zur Verfügung stehen, ein bezahlter Account für ChatGPT existiert, ein 14-teiliger Videokurs namens »Python mit Bernhard und Tim« im Intranet zu finden ist, ein Data Storytelling Coach namens Julia in Abteilung DS119 tätig ist und dass die 4-wöchige Onboarding-Phase genutzt werden kann, um grundlegende Schulungen durchzuführen.

 

6. Chancen und Ziele: Absichten und Perspektiven

Rechts unten im Canvas finden Sie den Bereich für Chancen und Ziele. Dieser erweitert den Blickwinkel und betrachtet die langfristigen Vorteile, die durch die Steigerung der KI-Kompetenz erreicht werden können. Hier geht es darum, festzuhalten, inwiefern das neue Wissen auf die strategischen Unternehmensziele einzahlen kann, um davon im nächsten Schritt die Dringlichkeit der Maßnahmen und die Intensität der Schulungsvorhaben in Form von konkreten Formaten abzuleiten.

 

Was trage ich also in das KI-Kompetenz-Canvas ein?

Hier könnte man niederschreiben, dass das Ziel der KI-Kompetenz-Initiative darin besteht, durch interne Effizienzsteigerung wettbewerbsfähig zu bleiben, ein neues Geschäftsmodell endlich zu realisieren oder den Mitarbeiter*innen Zukunftsperspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten.

 

7. Formate: Praktische Umsetzung der Lerninitiativen

Im oberen rechten Zentrum des Canvas befindet sich der Bereich für konkrete Bildungs- und Trainingsformate, in denen sich die Weiterbildung letztlich vollziehen soll. Hier werden die theoretischen und zum Teil noch vagen Anliegen und Ziele in die umsetzbare Praxis überführt. Die Auswahl der Formate sollte flexibel sein und sich nach dem Bedarf der Anwender*innen richten.

 

Was trage ich konkret in das KI-Kompetenz-Canvas ein?

Hier könnten Sie eintragen, dass ein wöchentlicher Abendkurs zu den Grundlagen der KI (mit praktischen Beispielen und Raum zum Experimentieren) angeboten wird – der sich insgesamt über 3 Monate erstreckt–, ein Python-Grundkurs on demand von externen Anbietern zur Verfügung steht, ein Zertifikatskurs »Digitale Ethik« an der HWZ Zürich absolviert werden kann oder ein Pilotprojekt zum Peer-2-Peer Learning durchgeführt wird.

 

8. Assessment und Fortschritt: Überwachung und Anpassung

Direkt unterhalb der Formate befindet sich der Bereich für Assessment und Fortschritt, der eng mit den Lernformaten verbunden ist, da die Überprüfung des Lernerfolgs oft unmittelbar von den gewählten Lehrmethoden abhängt. In diesem Abschnitt können Mechanismen entwickelt und gesammelt werden, um den Fortschritt in Bezug auf die KI-Kompetenz zu messen und zu bewerten. Dabei werden KPIs oder spezifische Ziele festgelegt sowie ein Zeitplan für die Überprüfung aufgestellt. Dies ermöglicht es, die Strategie flexibel anzupassen und den Erfolg der gesamten KI-Kompetenz-Initiative messbar zu machen.

 

Was trage ich konkret in das KI-Kompetenz-Canvas ein?

Als praktische Beispiele könnten hier dienen: Die Verdopplung der Anzahl der Zertifizierungen für das KI-Tool »TrainCopterPlane« bis zum dritten Quartal, die Besetzung der Rolle »Verantwortliche*r für den Datenschutz bei KI-Anwendungen« sowie die Benennung von zwei Stellvertreter*innen, die paritätische Besetzung der »Taskforce KI« bis September mit je fünf Entwickler*innen und Analyst*innen, die Sicherstellung, dass bis Ende des Jahres eine Person in der Abteilung über grundlegende Python-Kenntnisse verfügt oder dass alle Abteilungsmitglieder bis Ende des zweiten Quartals den KI-Grundkurs erfolgreich absolviert haben sollen.

 

9. Kosten und Risiken: Hindernisse beseitigen

Der untere linke Bereich des Canvas ist für absehbare Kosten und Risiken vorgesehen. Hier erfolgt die Bewertung der finanziellen und zeitlichen Aufwände sowie der potenziellen Risiken und Abhängigkeiten, die im Zusammenhang mit der KI-Kompetenz-Initiative auftreten können. Wenn Sie die Hindernisse und potenziellen Risiken bereits während der Entwicklung der KI-Kompetenz-Strategie erfassen und schriftlich festhalten, können kritische Szenarien frühzeitig erkannt und angegangen werden – Gefahr erkannt, Gefahr gebannt!

 

Was trage ich konkret in das KI-Kompetenz-Canvas ein?

Als Beispiel könnte hier stehen, dass der Einsatz von KI im Bereich Human Resources Risiken birgt, ein externer Python-Kurs für die gesamte Abteilung 5.000€ kostet, die Qualität der CRM-Daten möglicherweise zu schlecht für eine eigene KI-Anwendung ist, einige Mitarbeiter*innen möglicherweise aus Angst vor der Prüfung nicht an Weiterbildungen teilnehmen könnten und wie man diesem entgegenwirken kann sowie die Meinung des Betriebsrats zu den geplanten Vorhaben.

 

Wenn Sie jeden Schritt sorgfältig und in der angegebenen Reihenfolge durchlaufen, können Sie mit diesem Canvas eine solide Grundlage für die Entwicklung der KI-Kompetenz in Ihrer Organisation schaffen. 

 

Wie arbeitet man mit dem KI-Kompetenz-Canvas?

Beim Arbeiten mit einem Canvas sollte zunächst klar definiert werden, welches Problem oder welche Fragestellung mit Hilfe des Canvas gelöst werden soll. Eine klare Zielsetzung ist entscheidend, um den Fokus während des Prozesses zu bewahren. Außerdem sollten alle relevanten Stakeholder in den Prozess eingebunden werden, um eine vielseitige Perspektive sicherzustellen.

Im Vorfeld können bereits Informationen gesammelt und strukturiert werden, die für die Fragestellung relevant sind, insbesondere wenn es sich um große Fragestellungen handelt. Dazu sollte eine verantwortliche Person evaluieren, welche Themen im Canvas wichtig werden können, und entsprechende Materialsammlungen anstoßen – über Fragebögen, Interviews oder bei größeren Projekten sogar in eigenen Workshops für die entsprechenden Felder im Canvas.

Anschließend können in einem eigens dafür geplanten Workshop die verschiedenen Bereiche des Canvas direkt mit einem Filzstift auf ein groß ausgedrucktes Canvas, mit Hilfe von Post-its oder in digitaler Form (z. B. in Miro oder Mural) ausgefüllt und miteinander verknüpft werden.

Offenheit für neue Ideen und unkonventionelle Ansätze ist ein zentraler Erfolgsfaktor beim Arbeiten mit einem Canvas. Die Validierung der erstellten Inhalte kann durch Feedback von anderen Teammitgliedern oder durch Tests mit potenziellen Nutzer*innen erfolgen. Auf Basis dieser Rückmeldungen können (und sollten!) auch nach dem Workshop und im Verlauf der nächsten Wochen und Monate Anpassungen vorgenommen und das Canvas iterativ weiterentwickelt werden.

Haben Sie gerade „iterativ“ gelesen? Korrekt. Das Wort kennen Sie vermutlich aus dem Kontext Agiler Methoden.

 

Das KI-Kompetenz-Canvas als agile Methode

Durch die nutzer*innenzentrierte Gestaltung dieses Canvas werden alle relevanten Aspekte der KI-Kompetenz-Entwicklung berücksichtigt und auf einer visuellen Ebene dargestellt. Diese Struktur fördert eine dynamische Zusammenarbeit innerhalb des Teams und ermöglicht eine schnelle Anpassung an sich ändernde Anforderungen und Erkenntnisse. Durch die regelmäßige Aktualisierung des KI-Kompetenz-Canvas können Organisationen sicherstellen, dass ihre KI-Trainingsstrategie kontinuierlich verbessert wird, um den Bedürfnissen der Nutzer*innen gerecht zu werden und Innovation zu fördern. In einer schnelllebigen und komplexen Technologielandschaft ist diese Agilität von entscheidender Bedeutung, um wettbewerbsfähig zu bleiben und langfristigen Erfolg zu sichern.

Sie können mit diesem Canvas im Rahmen eines Workshops mit allen beteiligten Stakeholdern arbeiten und es zur dauerhaften Veranschaulichung der Ergebnisse nutzen. Es sollte dabei ein „lebendes Dokument“ bleiben, das regelmäßig aktualisiert und an die aktuelle Tool- und Technologielandschaft Ihres Unternehmens angepasst wird. Nur so kann sichergestellt werden, dass es nicht veraltet und sich eine KI-Trainingsstrategie auch langfristig daran ausrichten lässt. Insgesamt ist die erfolgreiche Nutzung eines Canvas ein iterativer Prozess, der eine klare Zielsetzung, eine strukturierte Vorgehensweise und die Einbindung aller relevanten Stakeholder erfordert. Durch eine systematische Herangehensweise und die Bereitschaft, Feedback anzunehmen und das Canvas entsprechend anzupassen, können wertvolle Erkenntnisse gewonnen und fundierte Entscheidungen getroffen werden.